Sonntag, 4. August 2013

DAS BESTE BIER MEINES LEBENS

Florian

Die folgenden Zeilen dienen nicht der Verstärkung der Einschaltquoten auf unserer Homepage. Alles ist tatsächlich genau so passiert. Manchmal denke ich; sitzt der Teufel irgendwo und legt ein Gewicht nach dem anderen auf meine Schultern und schaut wie viel ich aushalte, bevor ich zusammenbreche. Aber der Reihe nach…

Unsere Maschine war also nur  für ca. 5 Minuten einsatzfähig, bevor sie überhitzt und wir sie abschalten mussten. Ich wusste also, dass wir für das Anlegemanöver in der kleinen Marina neben dem großen Hafenbecken in Reggio Calabria nur eine Chance hatten. Wir sind also unter Segel aufgekreuzt, 25-30 Knoten Wind, 1. Ref in Groß und Fock. Ca. ½ Seemeile nördlich von der Hafeneinfahrt; dann also Groß geborgen, Fock auf 1 m² verkleiner und mit ca. 2 Kn Fahrt vor dem Wind Richtung Hafen. Martina bringt die Fender aus. 100m vor der Hafeneinfahrt ein Aufschrei von Martina – „Ich hab den Fender verloren“. Einer unserer neuen Fender treibt 30 m Steuerbord von uns vor dem Wind. Nachfahren und den Motor womöglich überhitzen und nicht anlegen können? Ich lasse den Fender Fender sein und wir überqueren die Hafeneinfahrt; gleich links danach geht es in die kleine und enge Marina. Der Marinero weist mir einen Platz zu – alle Plätze quer zum starken Wind. Mein Bug treibt ab, ich setze retour, versuche in den zugewiesenen Platz einzufahren; da „schreit“ unser Motor, Martina schaut auf den Thermometer; über 100 Grad. Der Motor quietscht, wie wenn man eine große Ratte  mit Stumpfer klinge rasiert (denke so müsste das klingen – keine Angst, gemacht habe ich das eh noch nie). Ich denke „Kolbenreiber“ und rufe „Abbruch“, wir fahren unter letzter Motorkraft in das große Hafenbecken; Maschine aus – wir treiben im Wind – 15 Knoten gegen die noch ca. ¼ sm entfernte Hafenmole. Der Marinero mittlerweile mit Schlauchboot versucht mich mit seinem Bug in die richtige Richtung zu bugsieren. Noch ist ein Boller in Reichweite. Ich gebe ihm meine Leine und ersuche uns dort anzuhängen. Er ist zu langsam und wir treiben zu schnell; es geht nicht, ich werfe meine Leine über Bord.

Segel setzen! Martina ans Steuer, ich reiße das Groß hinauf. Die ESPERANZA legt sich quer zum Wind und nimmt Fahrt auf – gerade auf eine längsseits liegende Fähre. Fock heraus. Groß fieren, Ruder hart Steuerbord, dreh dich!! Bange Sekunden – Fähre querab auf Kollisionskurs. Langsam dreht die ESPRANZA vor den Wind; Pffff - Kollision mit der Fähre abgewendet. Noch sind wir aber mitten im Hafenbecken unter Segel – das haben die hier denke ich seit der motorisierten Seefahrt nicht mehr gesehen.
Es bleibt uns nichts anderes über als gegen den Wind aus dem Hafenbecken aufzukreuzen. Wer auf ¼ sm Raum schon einmal mit einem 15 Tonnen Langkieler unter dem Hintern aufgekreuzt ist, darf gerne seine Meinung kundtun. Allen anderen darf ich mitteilen: “Es ist wirklich, wirklich verdammt schwierig“. Martina und ich haben es dennoch geschafft.

Endlich sind wir aus dem Hafenbecken heraus, da meldet sich Coast Guard, ob wir assistance benötigen. Ich verneine, sie bleiben hartnäckig und bieten ihre assistance an. Wer die Probleme um Bergelohn kennt, wird die Annahme von assistance wohl überlegen. Ich teile der Coast Guard mit, dass wir auf sicherer Position ankern werden, abwarten, bis der Wind weniger wird und dann neuerlich ein Anlegemanöver versuchen werden. Sie sind zufrieden und lassen uns unseres Weges ziehen.

Wir kreuzen ca. ½ sm auf und ankern sehr, sehr knapp zum Ufer auf ca. 8 m Wassertiefe. Endlich sicher. Durchschnauffen. Wir beobachten unsere Position zum Ufer und stellen fest, dass der Anker rutscht; zu früh gefreut. Zweiter Anker hinunter. Der liegt natürlich auf einem Haufen direkt unter unserem Schiff. Ich Taucherbrille und tauche zum zweiten Anker und versuche diesen durch Tragen über den Meeresgrund auf 8m Tiefe in Position zu bringen. Dabei hilft es, wenn man jahrelang Hügelsprints gemacht hat; aber ohne Spikes ist der Grip schlecht und auf 8 m Tiefe ist nach einigen Metern Schluss mit Luft. Also heraus mit dem Tauchzeug. Tauchjackett und Flasche; gut, dass wir uns entschieden haben, diese mitzunehmen. Natürlich kein Blei in der Geschwindigkeit – ich strample hinunter zum zweiten Anker. Ich denke an James Bond – das wäre eine interessante Unterwasserszene. Ich mit Anker auf der Schulter im Retourgang (wegen der Flossen!) über den Meeresgrund Anker austragen. Dann endlich geschafft. Beide Anker liegen akzeptabel. Die ESPERANZA liegt festgenagelt.

Wieder Durchschnauffen!! Wunden lecken!! Hier können wir nicht lange bleiben, 15 Meter neben den kleinen Booten der Einheimischen. Der Wind darf auch nicht drehen, sonst sitzen wir auf einem dieser Boote. Ich ab in den Motorraum. Sobald man den Motor aufdreht quietscht er. Ich denk zunächst, es sei die Welle, aber es quietscht auch, wenn kein Gang eingelegt ist. Telefonkontakt zu Martinas Papa: Keilriemen kontrollieren. Als ich mir den näher ansehe stelle ich fest, dass er locker sitzt. Als ich ihn spannen will, sehe ich, dass die Stellschraube, die die Distanz der Lichtmaschine regelt gebrochen ist. Neue Schraube aus dem Schraubenfundus, Schraube austauschen, neu ausrichten, spannen, anziehen – fertig. Motor quietscht nicht mehr. Zum Glück also kein Kolbenreiber.

Um ca. 18 Uhr lässt der Wind nach und wir haben nur noch ca. 10 Kn. Zwei Anker aufziehen ist  nicht einfach. Die mittlerweile erkaltete Maschine auf Standgas und Martina an der Ankerwinsch übernehmen den Hauptanker. Ich mit der Kraft der (fast) Verzweiflung den anderen Anker; aus den Beinen ziehen., nicht aus den Armen. 20 m Kette samt Ankertrosse und 30 Kg Anker. Ich denk nur „ Aufgeben gibt’s nicht“. Endlich haben wir beide Anker geborgen und der Bug der ESPERANZA zeigt Richtung offenes Meer.

Wir segeln neuerlich mit 1 m² Fock vor dem Wind auf die Hafeneinfahrt zu. Der Plan ist, dass Martina mit dem Dingi (unser kleines Schlauchboot mit 9 PS Motor) eine Leine im großen Hafenbecken zur Mole ausbringt, damit wir an einem Punkt fixiert sind, und ich mit der Maschine auf Standgas uns dann an die Mole bringen kann. Kurz vor der Einfahrt kommt mir eine kleine Fähre aus dem Hafenbecken entgegen – na wunderbar. Die Fähre hupt mich laut an – ich ans Funkgerät und teile ihr auf Kanal 16 mit, dass ich keine Maschine habe und nur unter Segel fahre. Das überzeugt sie, und sie halten sich zur anderen Seite der Hafeneinfahrt. Als wir im Hafenbecken sind, drehe ich die Maschine auf – die Uhr läuft. Ich drehe nach Backbord bringe uns Richtung Mole. Martina voraus im Dingi. Sie fährt zum vorausgemachten Ring an der Kaimauer, zieht die Leine durch und kommt zurück. Als sie mir entgegen fährt kreuzt sie mit dem Dingi die Leine, sie verliert die Festmacherleine in ihrer Hand und zieht mit dem Dingi das Ende wieder aus dem Ring. Ich rufe ihr zu sie soll die Leine neuerlich aufnehmen, Sie: „Ich kann nicht“; Ich: „fahr zum Schiff und nimm sie am Anfang wieder auf. Sie: „ ich kann nicht ich habe die Leine in der Schraube". Ich beruhige sie. Sie soll die Leine nur vom Schaft des Motors lösen, dann ist sie wieder frei. Sie kämpft. Ich treibe auf die Mole zu, eine Böe beschleunigt mich; ich Retourgang hinein, um Abstand zu gewinnen. Maschine stirbt ab – Ich habe die Leine von Martina in der Schraube – diesmal aber wirklich.

Wir treiben Richtung Mole. Ich zische nach vorne Richtung Bug, nehme eine neue Leine, belege sie am Bug, da spitzt die ESPERANZA auch schon mit dem Bugspriet in die Kaimauer, Holz splittert. Ich springe auf die Kaimauer, hole die Leine dicht und versuche sie an einen Boller festzumachen – zu kurz. Ich stemme mich mit aller Kraft in die Leine: Seilziehen Florian gegen ESPERANZA unter Windabdrift. Ich denke nur – nicht nachlassen. Endlich erreiche ich den nächster Boller – Leine herum, Palstek, keinen Fehler machen – fest. ESPRANZA zielt wie ein Einhorn mit ihrem Bugspriet neuerlich auf die Kaimauer zu. Ich zisch hin und halte sie davon ab, nochmals die Kaimauer „zu küssen“. Endlich kommt sie längsseits. Ich deute Martina, dass wir sicher sind, und sie mir die Achterleine zum Festmachen werfen soll.


In Anbetracht der Probleme, die wir heute hatten und gemeistert haben ist das zerbrochene Gräting am Bugspriet eine Lappalie.


Endlich liegt unsere ESPRANZA festgezurrt und sicher. Verschnauffen. Martina ist mit den Nerven fertig. Sie macht sich Vorwürfe, dass sie die Leine nicht belegen konnte. Ich beruhige sie und meine, ab jetzt wird sie immer Dingifahren, um das ordentlich zu üben, dass klappts beim nächsten Mal. Da wir zu weit in der Mitte der Kaimauer hängen müssen wir die ESPERANZA noch ca. 100m nach vorn ziehen, um die Berufsverkehr nicht zu stören. Als wir auch das nach einer Stunde im Kampf gegen den Wind geschafft haben, als wir unser Schiff für die kommende Nacht sicher wissen, da öffnen wir das einzige an Bord verbliebene Bier. In diesem Moment habe ich gedacht: “Das ist das beste Bier meines Lebens“.

2 Kommentare:

  1. das liest sich ja wie ein Krimi. Wahnsinn. Gratulation zu diesem Manöver!!
    lg und Bussi Silvia (Heinzl)

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  2. Whoa, ich hab ja nur beim Lesen Puls bekommen, bravo, die Situation gut gemeistert.
    Wheelchairpilots Kommentar: irgendwie hats offenbar bei der Vorbereitung gehapert, dass die Motorkühlung nicht ausreicht sollte eigentlich vor der Abfahrt...

    Hey, wurscht. Toll gemeistert, und ab jetzt wirds ja hoffentlich besser werden (ich les' den Blog von hinten nach vorne ;-))

    Immer den richtigen Wind wünsch' ich Euch, Ernest

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